Freitag, 14. Dezember 2012

Fazit

Heute will ich ein Gesamtfazit über meinen Kanadaaufenthalt schreiben. Wahrscheinlich ist es eigentlich noch zu „frisch“, aber ich denke, dass sich meine Eindrücke so halten werden, wie sie jetzt sind. Vornweg kann ich sagen, dass im Endeffekt alles positiv ist – genauso wie Papa es immer prophezeit hat. Ich werd versuchen, das Ganze einigermaßen übersichtlich zu gestalten, aber das wird wahrscheinlich schwierig.
Wenn ich so durch meinen Blog scrolle, muss ich jetzt ein bisschen schmunzeln. Am Anfang hab ich mich nur über die Arbeit beschwert. Ich hab mich auf dem Blog sogar zurückgehalten, denn eigentlich hat es mir wirklich keinen Spaß gemacht. Ich kannte die Leute noch nicht richtig, war nicht eingewöhnt, hatte so viele andere Sachen, über die ich mir tagtäglich Gedanken gemacht hab, dass die Arbeit einfach ein lästiges Übel war. Mit der Zeit hab ich mich aber an meine Kollegen gewöhnt, Freundschaften geschlossen.
Ich lernte zu schätzen, dass es immer was zu lachen gibt, dass man niemals unfair behandelt wird, wenn man niemanden unfair behandelt, dass Rücksicht auf mich genommen wird, dass ich Fragen stellen darf, so viel ich will und das sogar Willkommen ist, dass wir in den Pausen unheimlich viel Spaß hatten und nicht zuletzt, dass ich wahre Freundschaften geschlossen habe. Vor Allem mit Traci und Lindsey verstehe ich mich extrem gut, ich vermisse sie wie wahnsinnig. Aber auch der „Arbeitsteil“ der Arbeit ist für mich zum Vergnügen geworden. Am Anfang war es nur körperlich harte Arbeit für mich. Ich bin Gymnasiast, ich war 12 Jahre nur rumgesessen und dann soll ich im Sauenstall hart arbeiten? Mach das mal meinem Körper klar. Ich denke, dass ich deswegen die ersten paar Tage einfach nur unfassbar demotiviert war. Ich hab mich aber ziemlich schnell dran gewöhnt und dann hat es Spaß gemacht. Mit den Tieren zu arbeiten, verschiedene Tätigkeiten zu erlernen und der allerschönste Teil ist natürlich, wenn man gelobt wird. Das ist so ganz anders, als in der Schule eine gute Note zu schreiben, es ist einfach ein schönes Gefühl. Und ich wurde gelobt :)
Das Einzige was mir gefehlt hat, war die geistige Arbeit. Ich war Angestellter, das heißt, Wayne ist Chef und jeder sonst kriegt einfach Anweisungen. Wir müssen uns keine Gedanken darüber machen, was wir tun. Klar, wir müssen bei der Sache sein, aber wir erstellen keine Arbeitspläne, wir behandeln selbstständig keine Tiere, wir übernehmen im Endeffekt keine Verantwortung und damit würde ich persönlich mich auf lange Sicht unterfordert fühlen. Es wird ein bisschen langweilig, wenn man dann alles kann.
Über Arbeit an sich hab ich gelernt, dass sie glücklich macht. Sicher hat man Tage, an denen man einfach nur Urlaub will, aber wenn man am Ende des Tages sieht, dass man etwas geschafft hat, dass man gebraucht wurde, dass man Geld verdient hat, macht einen das (mich jedenfalls) zufriedener. Nach der Schule hab ich mir immer gedacht: „Schön, fünf weitere Formeln, die ich in meinem ganzen Leben nie mehr brauchen werde. Wofür bin ich heute Morgen aufgestanden?“ Nach der Arbeit hat man das Gefühl, etwas geleistet zu haben. So geht es mir jedenfalls. Zuletzt war die Arbeit natürlich auch der Hauptgrund (jedenfalls ist sie dazu geworden, aber dazu später mehr), weswegen ich nach Kanada gekommen bin. Ich habe sehr viel gelernt, hab mich an die Arbeit gewöhnt, ein paar Dinge gesehen, die ich gut fand, ein paar Dinge gesehen, die es so in meinem (theoretischen) Stall nie geben würde.
Etwas, über das ich mich von Anfang bis Ende niemals beschweren konnte, war meine „Betreuung“. Schon am Flughafen wurde ich von Bob und Rose mit einer herzlichen Umarmung begrüßt, direkt zum Essen eingeladen, ausgefragt und einfach nur extrem nett behandelt. Immer wenn ich Hilfe brauchte, war auf sie Verlass. Ich wurde oft zum Essen eingeladen, umsorgt und wie ein weiteres Enkelkind behandelt. Nach der Eingewöhnungsphase wurde das weniger, aber das ist okay so, ich bin ja kein Austauschkind, sondern ein Austauschbanditpraktikant.
Ich weiß noch, als ich am dritten Tag ins Farmhaus gezogen bin, hat mir Rose eine Heizdecke mitgegeben. Was hab ich mir für Horrorszenarien ausgemalt, von fehlender Heizung über zugige Fenster bis hin zu Blizzards. Nichts davon ist wahr geworden und auch die Heizdecke hab ich nur für meinen schmerzenden Nacken verwendet.
Neben Rose und Bob (meinen Grandparents) haben sich vor allem Jeanette und Scott um mich gekümmert. Ich war immer eingeladen, und wenns nur war, weil mir langweilig war, Jeanette hat mich mit zum Shoppen genommen, mit ins Kino, mit ins Essen, ja sogar zum Thanksgiving ihrer Familie wurde ich mitgenommen. Durch sie hatte ich eine weit bessere Freizeitgestaltung, hab mehr Leute kennen gelernt und viel Spass gehabt. Ich durfte zum Schneemannbauen kommen, durfte Snowmobile fahren, ich wurde in alles einbezogen und das werd ich ihr nie vergessen.
Mit Stacey, Renee und David hab ich mich auch super verstanden, und die haben mich auch immer wieder eingeladen. Auch der Rest des Betriebes und der Familie war bei Fragen und Problemen immer für mich da. Ich kann aus voller Überzeugung sagen, dass man für ein landwirtschaftliches Praktikum keine bessere Hostfamily finden kann.
Allerdings hat selbst die hervorragende Hostfamily mir nicht über die Einsamkeit hinweggeholfen. Und damit rede ich nicht von der Einsamkeit, weil ich ganz alleine war, sondern von der Einsamkeit, dass um mich herum nichts war. Die Farm ist in „the middle of nowhere“ und genau so hat es sich auch angefühlt. Der nächste Supermarkt war 20 Fahrminuten entfernt, aber außer dem Supermarkt und einem Timmys gab es da sonst auch nix. Und das ist natürlich nicht wirklich Entertainment. Das hat mir meinen Aufenthalt wirklich erschwert, weil es bedeutete, dass ich außer Stall und Jeanettes Kindern kein Sozialleben aufbauen konnte. In einer größeren Stadt hätte ich mal ins Kino gehen können, ins Café, ein bisschen Bummeln, wie auch immer. Das war mir alles nicht möglich, weil zusätzlich zur Einsamkeit mein Orientierungssinn nicht vorhanden ist – aber darüber hab ich ja bereits erzählt. Diese Abgeschiedenheit war wirklich ein Problem und ein Grund, wieso ich auch jetzt, wo ich schon fast zuhause bin, diesen Grund als angemessen empfinde, „nur“ drei Monate geblieben zu sein.
Bevor ich nach Kanada geflogen bin, dachte ich immer, dass meine Englischkenntnisse vielleicht zum Problem werden könnten. Ich wurde in der Oberstufe in Englisch nicht gelobt und hab mich nie mehr als nötig mit Englisch beschäftigt. Diese Befürchtung wurde aber überhaupt nicht bestätigt. Ich wurde vom ersten bis zum letzten Tag nur für mein hervorragendes Englisch gelobt, ich hatte außer ein paar Vokabeln niemals Schwierigkeiten jemanden zu verstehen, jetzt kann ich sogar Telefonieren. Telefonieren ist meiner Meinung nach das Schwerste, weil man seinen Gegenüber ja nicht sieht und sich somit nicht mit Händen und Füßen verständlich machen kann. Aber auch dem bin ich jetzt gewachsen.
Englisch an sich ist eine schöne Sprache, ich werde es auch sehr vermissen, aber verglichen mit Fränkisch (also dem Dialekt, nicht mit Hochdeutsch) ist es langweilig. Es gibt nicht so viele Möglichkeiten sich auszudrücken, es gibt nicht so viele Worte und es fehlt irgendwie die persönliche Note. Ich werde Englisch wirklich vermissen, werde aber weiterhin englische Filme sehen und englische Bücher lesen um meine Englischkenntnisse immer frisch zu halten – wer weiß, wie schnell ich es wieder brauche ;)
Das allein wohnen ist allerdings kein Grund, wieder zu kommen. Dadurch, dass ich ja am A*** der Welt war, war das allein wohnen dann der Gipfel der Einsamkeit. Als ich aber dann das akute Heimweh überwunden hatte, fand ich es einfach nur noch langweilig. Man ist den ganzen Tag alleine, man steht alleine auf, Frühstückt alleine, macht alles alleine. Es wird einfach langweilig. So sehr ich allein sein auch genieße und auch kein Problem hab, mal alleine shoppen zu gehen oder ähnliches, so langweilig finde ich alleine wohnen. Diese Erfahrung hab ich jetzt gemacht, ich fand sie sehr wichtig, aber ich weiß auch, dass ich das nicht wiederholen möchte.

Ich sitze im Moment in Toronto am Flughafen und warte, bis mein Schalter zum Check-In öffnet. Das heißt, ich bin erst eine Woche von der Farm weg, aber noch nicht zuhause. Ich glaube, dass ist die perfekte Gelegenheit, mein Fazit zu vervollständigen:
Ich hatte geplant, nach Kanada zu kommen, um ein anderes Land kennen zu lernen, um mein Englisch zu verbessern, um neue Freunde zu finden, um von Zuhause raus zu kommen und mein letzter Grund war, dass ich etwas über Landwirtschaft lernen wollte. Da ich die Gegebenheiten vorher nicht kannte, hat sich meine ganze Situation drastisch verändert, nachdem ich angekommen war: Ich war im Schweinestall. 24/7. Nein, so schlimm war es nicht, aber von der Tatsache, dass die Erfahrung im Stall mein letzter Grund war, nach Kanada zu kommen, blieb nix mehr übrig. Es war der einzige und der Hauptgrund. Ich habe zwar auch alle meine anderen Punkte erfüllt, aber die Prioritäten haben sich geändert.
Am Anfang hat mir das nicht gefallen, aber mittlerweile weiß ich es zu schätzen. Ich habe so viel gelernt, wie ich wahrscheinlich nirgendwo anders lernen hätte können. Nicht so viel über die moderne Schweineaufzucht, aber über das ganze Business an sich. Es ist einfach schwer zu erklären. Nach der Zeit hab ich mich aber daran gewöhnt und weiß es jetzt zu schätzen. Der Schweinestall ist wirklich meine Welt :D
Ich hatte die besten Arbeitskollegen der Welt und eine wunderschöne Zeit, vor allem im Stall. Es hat einfach wahnsinnig Spaß gemacht und selbst die Tage, die ich in dem Moment einfach nur schei** fand, sind mir jetzt in guter Erinnerung geblieben. Das hat mir Papa schon immer prophezeit und er behielt wie immer Recht.
Ich weiß jetzt auch, dass es die beste Entscheidung seit Langem war, ein Praktikum zu machen, ein Jahr nicht in die Schule zu gehen, ein Praktikum im Schweinestall zu machen, nach Kanada zu kommen und zuletzt, im Dezember schon heimzufliegen.
Ich bin durch und durch zufrieden damit, wie alles gelaufen ist und werde diese Zeit immer wahnsinnig positiv in Erinnerung behalten. Danke an alle, die mir dabei geholfen haben.
Außerdem hab ich mich in Kanada verliebt.
Die Menschen sind so nett und umgänglich wie nirgendwo sonst auf der Welt, die Landschaft ist einfach unglaublich und nicht zu toppen und die ganze Mentalität in Kanada hat mich einfach überzeugt. Die Leute sind zwar diszipliniert und ehrgeizig, aber dabei nicht so verkniffen, wie Deutsche es wären. Kurz gesagt, ich hab mich in Kanada verliebt. Ich will noch so viel mehr von diesem Land sehen und werde auf jeden Fall zurückkommen. Wann steht noch in den Sternen, aber ich habe das fest geplant.
Die USA sind natürlich auch ein schönes Land, ich kann nicht so sehr mitreden, weil ich nie da gelebt habe, aber verglichen mit den kurzen Eindrücken, die ich in Texas und Chicago sammeln konnte, gefällt mir Kanada besser. (New York natürlich ausgenommen, das steht zuoberst auf meiner Liste der zu besuchenden Orte ;) )

Ich hatte Kanada an sich vorher nie auf dem Schirm, ich wusste, wo es liegt, aber das war es auch schon. Jetzt habe ich mich verliebt und ich werde wieder kommen.

Bis bald, liebes Kanada, und danke für die wunderschönen und prägenden Erfahrungen, die ich mit nach Deutschland nehmen darf.

Alles Liebe, Lisa

Keine Kommentare: